Luise Hensel > Gedichte

Mein Emmaus

Luise Hensel (1798-1876), Wiedenbrück, Sommer 1869
Der Tag hat sich geneigt,
Kehr' ein, geliebter Gast!
Der Lärm des Tages schweiget
Und gönnt der Seele Rast.

Laß uns beim süßen Mahle
Und trauter Rede nun
Und mildem Abendstrahle
Von schwerer Wand'rung ruhn.

O, nicht vorübergehe,
Nein, weile, holder Gast!
Allein in deiner Nähe
Wird meiner Seele Rast.

Als du auf fernen Wegen
Mir nahtest ernst und traut,
Hat deiner Rede Segen
Mir Trost ins Herz getaut

Ob sich die Schatten strecken
Und wachsen riesengroß: recken,
Nichts kann ein Herz erschrecken,
Das ruht in deinern Schoß

Mein Haupt an deinem Herzen
Wie St. Johann beim Mahl,
Weiß ich von keinen Schmerzen,
Von keiner Todesqual.

Wollst nicht von dannen fliehen,
Nicht lassen mich allein,
Bis ich mit dir darf ziehen
Zum seligen Verein.


Literatur bei Amazon zum Thema Luise Hensel